Cornwall: Und der Teufel bleibt in England

Dem vierten Lord St. Levan blicken täglich Touristenmassen ins Privatgärtlein. Die letzte Zinnmine schließt. Ein Kühlschrank wird gestohlen. Das Leben nimmt seinen Lauf. Cornwall – eine Fahrt mit dem Taxi.


„Ich bewege mich in einem Labyrinth vorwärts. Ohne Sicht nach den Seiten drehe ich einhändig die Windungen dieser hohlen, engen, asphaltenen Gassen nach, wachsam – es könnte hinter einer Kurve ein Hindernis lauern -, dennoch entspannt, denn dieses seltsame Terrain ist nicht als Schrecknis angelegt, sondern als Straßennetz, es ist nicht geplant, es hat sich so ergeben.“ Wolfgang Hildesheimers „Zeiten in Cornwall“ im Kopf, sitze ich in „John’s Taxi“. Quer durch den westlichsten Zipfel Englands soll die Fahrt führen, von der Bahnstation Redruth im Norden ins Dörfchen Ruan Minor im Süden, auf die Halbinsel Lizard. Zeit genug, um eine halbe Lebensgeschichte zu erfahren, während wir durch Hildesheimers Labyrinth kurven, immer zwei Mauern rechts und links, die sich, von allerlei Geäst überwuchert, als simple Hecken tarnen.

„Cornwall, County, Südwest-England, liegt auf einer Halbinsel, die in den Atlantik vorspringt“, verrät die Encyclopedia Britannica. Es sei das „entlegenste der englischen Counties“, erfährt man weiter. „Seine Ostgrenze, mehr als 200 Meilen von London entfernt, ist seit Jahrhunderten unverändert und folgt dem Fluss Tamar.“ Und: Für echte „Cornishmen“ bedeute erst die Überquerung des Tamar das Betreten Englands. Vielleicht hat es sich noch nicht recht herumgesprochen, dass die Zeiten eines selbständigen keltischen Cornwalls schon länger vorbei, König Marke, Tristan und Isolde vor allem Mythos sind.

John ist kein echter „Cornishman“, er stamme aus Bristol, sagt er. Und er sei Geschäftsmann gewesen. Bis er und seine Frau eines Tages alles verkauften, zehn Monate kreuz und quer durch die USA fuhren und sich anschließend in der Nähe von Redruth ansiedelten, „weil’s hier noch gemütlich zugeht“. Wenn sich – für Sekunden – der Blick ins Umland öffnet, dann meint man sie sehen zu können, die Gemütlichkeit: in den sanften Wellen des Hügellandes, die von einem dichten Mauernetz überzogen sind, Weiden von Wiesen und Äckern trennend, da und dort Schafe, Rinder, ein bukolisches Idyll, wäre da vielleicht auch noch ein Hirte samt Hund. Oder wenigstens eine unschuldig blickende Maid.

„Schauderhaft“ nennt die Polizeibeamtin Heather Maycock in der lokalen Wochenzeitschrift „West Briton“ die neuerdings über das Land schwappende „Verbrechensflut“; 15 Vergehen innerhalb einiger Wochen lassen die Alarmglocken der Ordnungshüter schrillen, findet sich doch darunter sogar der Diebstahl eines Kühlschranks aus einer Sakristei. Shocking.

„Nachdem wir hierher übersiedelt waren“, erzählt John, „begann ich sofort mit dem Taxifahren. Bald hatte ich ein ganzes Unternehmen, mehrere Wagen und Chauffeure. Und plötzlich merkte ich, dass ich nur mehr verwaltete, organisierte – wie damals in Bristol. Dann kam die Rezession – und vorbei war es mit dem Unternehmertum. Ein Wagen ist mir geblieben und ein Chauffeur – ich. Das genügt.“

Das Empire ist kein Empire mehr, die fetten Jahre sind vorbei, auch für Teile der besseren Gesellschaft. Landsitze, herrschaftliche Gärten verfallen oder werden von den adeligen Besitzern knapp vor dem Bankrott dem gemeinnützigen National Trust überantwortet. Wie St. Michael’s Mount, ein verkleinertes Duplikat von Frankreichs Mont Saint Michel, keine 20 Meilen von Redruth entfernt: Hier blicken dichte Ströme von Touristen täglich zwischen zehn und 17 Uhr dem vierten Lord St. Levan ins Privatgärtlein, das er sich nebst ewigem Wohnrecht der Familie im Tausch gegen das Eigentum an der mittelalterlichen Anlage vom National Trust ausbedungen hat. Und während sich Lord St. Levan und die Seinen zwar nicht mehr als Eigner, so doch als Besitzer auf schmuck-historischem Inselgut, aller unangenehmen Erhaltungspflichten enthoben, durchs Upper-class-Leben fretten dürfen, bleibt die Arbeitslosigkeit kaum irgendwo im Land unter zweistelligen Prozentzahlen. Auch im gemütlichen Cornwall nicht. Gerade im gemütlichen Cornwall nicht. Dann und wann ragen sie neben der Straße empor: die Schornsteine alter Zinn- und Kupferminen, einst Symbol der Schätze eines Landes, das in der Blüte der industriellen Revolution zu den bedeutendsten Rohstofflieferanten der Welt zählte, heute obskure Zeigefinger in der Landschaft: Da war doch irgendwann irgendwas. Nebst qualmenden Schloten und stampfenden Maschinen vor allem Schufterei, Krankheit, Tod. „Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Kumpels betrug 47 Jahre – falls er die allzu häufigen Unfälle überlebte; und wenn er schließlich aus der Mine kam, um seine Tage in einem überfüllten Häuschen zu beenden, schwarzen Staub spuckend, abwechselnd Kartoffeln und Haferschleim auf dem Teller, dann war da niemand, der sich seiner angenommen hätte.“ Daphne du Mauriers „Vanishing Cornwall“: Nicht allem, was die emphatische Sängerin der Schönheit des Landes in ihrem melancholischen Reminiszenzenband beschreibt, wird sie nachgetrauert haben.

Wir passieren die einzige Mine Cornwalls, die Gewinn abwirft – weil sie seit 100 Jahren stillgelegt ist: Poldark Mine, heute eine Mischung aus Bergwerksmuseum und Mini-Disneyland, Touristenfalle jedenfalls. „Das sollten Sie sehen“, meint John. Ich nicke. Und freue mich, dass ich verstehe, was er sagt. Keine Selbstverständlichkeit: Recht häufig deformiert ein lokaler Dialekt, Generationen schwerer Zungen mit sich herumschleppend, britisches Englisch zu einem zähen Brei. Nicht zu vergessen das alte Kornisch, eine keltische Sprache, gehegt und gepflegt von einer Spezies, die allerdings selbst wachsendes Kornischbewusstsein nicht vor dem Aussterben wird retten können.

Cornish Pasty. Halbmondförmige Mürbteigtaschen, gefüllt mit Fleischwürfeln, Leber, Kartoffeln, Zwiebeln. Eine angemessen robuste Spezialität des Landes. „Die besten Pasties bekommt man in Helston“, schwört Denise, „Landlady“ meines „Bed & Breakfast“. Früher sei das die Nahrung der Bergmänner gewesen, Hauptspeise, Beilage und Dessert in einem: links Gemüse, in der Mitte Fleisch, rechts Marmelade. Der Teigrand der Pasty: ein idealer Griff. Den ließ man nach dem Mahl unter Tag in den Stollen zurück. Als Opfer für die Berggeister, sagt man. In Wahrheit wohl, weil er durch den Staub, der an den Händen haftete, vergiftet war.

Mittlerweile hat „John’s Taxi“ das Labyrinth verlassen. Die Mauern links und rechts der Straße sind Häuserzeilen gewichen. Wir passieren Denise‘ Pasty-Himmel, Helston, das Tor zum Lizard. Ort des „Flora Day“, der das verschlafene Nest am achten Mai jeden Jahres zu bacchantischem Frühlingstaumel erwachen lässt. Heimstatt des Helston Bowling Clubs, gegründet 1760. Und der größten Helikopterbasis Europas, der Royal Naval Air Station Culdrose, gegründet 1947, falkland- und golfkriegserprobt. „Die Tatsache, dass jedem eine bestimmte Rolle zugewiesen ist in diesem potentiell gefährlichen Geschäft, gibt dem Leben einen Zweck, eine Richtung, die Würze“, schwärmt Captain Peter Fish, Culdrose-Kommandant, in einer Hochglanzgazette für Touristen und zeigt sich von den ausgezeichneten Beziehungen zur ortsansässigen Bevölkerung begeistert. Wer wollte schon die Hand beißen, die einen nährt, auch wenn das Knattern der Rotoren die Ruhe kostet. Außerdem fischen Culdrose-Hubschrauber alljährlich unzählige Touristen aus den tückischen Küstenströmungen Cornwalls. Manchmal auch Fischer. Bei Weitem nicht alle freilich, die in Not geraten.

Während die hohen Zäune von Culdrose samt den adrett gekleideten Herren, die dahinter, auf dem stützpunkteigenen Golfplatz, schlägerschwingend das Flugfeld umkreisen, an uns vorüberziehen, unterbricht John kurz seine Familiensaga. „Ich kenne ja einiges auf dem Lizard, aber: Wo liegt Ruan Minor?“ Und, entschuldigend: „Ich bin mehr im Norden unterwegs, Camborne, manchmal St. Ives. Auf den Lizard fahren nicht so viele.“

Wer von Cornwall spricht, meint meist die Nordküste. Tintagel, die König-Artus-Burg, die mit König Artus ungefähr so viel gemein haben dürfte wie Mozartkugeln mit dem Zopfkopf aus Salzburg. Und St. Ives, vormals schlichter Sardinenhafen, heute der „Montmartre von Cornwall“, einer jener hochgerühmten Plätze, dem etliche Generationen von Kennern schon mit Träne im Knopfloch nachgesagt haben, er sei nicht mehr das, was er einmal war. „Seit Langem bin ich auf der Suche nach einem Ort“, schrieb Anfang der Siebziger St.-Ives-Kenner Wolfgang Hildesheimer, „dessen Kenner mir sagen, er sei früher grässlich gewesen, schön sei er erst geworden und werde nun von Jahr zu Jahr schöner.“ Hätte er solches im Süden, auf dem Lizard finden können?

Gewiss, auch der ist nicht, wie er war, war nie, wie er davor gewesen, und mancher Boom hat seine Spuren hinterlassen. Da war die Blüte des Eisenbahntourismus um die Jahrhundertwende. Ihre unübersehbare Fährte: das mächtig auf den Klippen bei Mullion thronende Poldhu Hotel, heute ein Altersheim, das auf Distanz Größe der Vergangenheit ahnen lässt, erst aus der Nähe die Schäbigkeit seiner Gegenwart offenbart. Da war die große Zeit der Lizard Serpentine Company, die sich für ein paar Jahrzehnte zu heftiger Geschäftigkeit aufschwang, kaum hatte Königin Victoria ihre Liebe zu Inventar aus jenem grünen Stein entdeckt, dem die Felsen des Lizard ihre Festigkeit und ihr dräuendes Dunkel verdanken. Was davon geblieben ist? Einige überwucherte Grundmauern – und ein paar klapprige Andenkenbuden, überquellend von grünen Aschenbechern, grünen Vasen, grünen Leuchttürmen aller Größen.

John wartet noch immer auf Antwort. „Kennen Sie Cadgwith?“ frage ich. Cadgwith: Vielleicht wäre das ein Ziel für Hildesheimers Suche gewesen. Ein kleines Fischerdorf, tief in eine enge Bucht geduckte Hütten, Strohdächer, weiß getünchte Hauswände, ein paar Ziegen, unberührt, so scheint’s, von Zeit und Fremdenverkehr, nur auf enger Straße zu erreichen. Weit in die Bucht vorspringend ein einsamer Felsen, der Todden, des Tags den Kindern Spielplatz, des Nachts Fluchtpunkt erwachsener Sehnsüchte nach Freiheit und Ferne. Und draußen, weit auf dem Meer, zieht die Geschäftigkeit vorbei, Frachter, Tanker, ab und zu eine Ölbohrinsel auf dem Weg von der Nordsee in die Werft von Falmouth, hochhaushoch, im Dunkel manhattanhell, ein Lichterbaum aus Stahl.

Gleich hinter dem schmalen Hafen: das „Cadgwith Cove Inn“, das einzige Pub des Dörfchens. „Wahrscheinlich das beste Pub in Cadgwith“, behauptet ein Schild an der Hauptstraße. Understatement, very british. Der Fischer Michael hat das Schild gemalt. Mit seinem Freund Peter und seinem Hund fuhr er letzten März aufs Meer. Jetzt steht im kleinen Laden neben der Hütte mit den Ruderbooten eine Sammelbüchse. „Für die Hinterbliebenen von Michael und Peter.“

Also: „Kennen Sie Cadgwith?“ John nickt. „Der Nachbarort von Cadgwith, oben, auf der Steilküste, das ist Ruan Minor.“ „Ach so! Alles klar“, sagt John, und ich weiß, dass er noch immer keine genaue Vorstellung davon hat, wohin er mich bringen soll. Abwarten und Tee trinken.

„Sir“, schreibt E. McClary, Penzance, an die Wochenzeitschrift „The Cornishman“, „als ich die Liste der Ausgezeichneten des Wettbewerbs ,Britannien blüht‘ las, war ich sehr enttäuscht, dass der Garten in der St. Mary’s Street Nummer vier nicht erwähnt wurde.“ In derselben Ausgabe berichtet Steve Fletcher, „staff reporter“, von der „letzten Schlacht“ um die beiden noch besetzten Beobachtungsposten der Küstenwache. „Anachronismus“ werden sie von der „Coastguard Agency“ genannt; 11.000 Menschen attestieren ihnen dagegen mit Unterschrift, taugliche Einrichtungen zum Schutz von Schwimmern, Seglern, Surfern und Fischern zu sein. Auch die Leuchttürme entmannt man systematisch. So wird das Licht des „Lizard Lighthouse“, eines der stärksten der Welt, bald einsam, computergesteuert über den Ärmelkanal kreisen, allen Schiffen Warnung.

Wer den Klippen des Lizard zu nahe kommt, ist auch heute noch verloren. Wie damals, 1619, als ein gewisser Sir John Killigrew den ersten Leuchtturm auf Lizard Point errichten ließ – gegen den heftigen Widerstand der einheimischen Bevölkerung, die um ihre regelmäßigen Einnahmen aus der Plünderung von Schiffswracks fürchtete. Auch des Sirs Ambitionen seien nicht der reinen Menschenliebe entsprungen, sagt man, vielmehr sollten die Schiffe nicht schon am Lizard, sondern erst später, bei Falmouth zerschellen, wo Killigrew die „wrecking rights“ besaß.

John ist bei der letzten Kreuzung abgebogen. Ein Fehler, der noch gutzumachen ist. Aber er wird den Schleichweg, der bald nach rechts abzweigt, nicht kennen. Ich lehne mich zurück. Die elf gewaltigen Satellitenschüsseln der Goonhilly Satellite Earth Station lassen wir hinter uns, auch den danebenstehenden, gut zwei Meter hohen Menhir – in Kombination mit den Schüsselgiganten beliebtes Photomotiv (merke: Mystik und Moderne!), falls er nicht gerade umgefallen ist. Der Schleichweg bleibt unbeachtet. Unbeirrt braust John statt nach Süden nach Osten. Ich weide mich an seiner zwischen allerlei Schnurren aufkeimenden Unsicherheit. Kurz darauf verschwinden wir wieder im kornischen Labyrinth, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. John verstummt. Zum ersten Mal. Er hat sich verirrt. Ich weiß es. Jetzt weiß es auch er. Für Minuten bin ich hier heimischer als er. Ich, der Fremde, halte den Ariadne-Faden in Händen, der uns aus dem Labyrinth führen kann. Aber ich habe Zeit. Und John hat das Taxameter längst abgestellt.

„Cornwalls Badestrände befinden sich in schlechtem Zustand, der sich laut einer Studie über die Wasserqualität auch nicht zu verbessern scheint“, meldet der „West Briton“. Wer wollte hier auch baden? Eisige Windböen selbst zur Sommerszeit lassen den Mitteleuropäer schaudernd die Rudel von Briten beobachten, die sich in Shorts und Bikinis auf den wenigen Stränden zum Sonnenbad ausbreiten. „We are tough, we are british“, pflegt Robbie, Denise‘ Mann, das scheinbar unerklärliche Phänomen zu erklären. Urlaub und Shorts – das sei hierzulande eben eins, egal wie kalt oder warm es ist. Robbie ist pensionierter Culdrose-Offizier, das Haus in Ruan Minor sein Alterssitz. Typisch kornisch. Lange Zeit galt Cornwall als Rentnerparadies. Erst in den letzten Jahren haben junge „Alternative“, Aussteiger aller Art, nicht zuletzt esoterisch Bewegte, das „Land der Mythen“ für sich entdeckt. Doch noch immer kommen auf eine Geburtsanzeige im „Helston Packet“ rund vier Todesfälle.

Das Labyrinth spuckt „John’s Taxi“ in Coverack aus, einem kleinen Hafen. Ebbe. Ein paar winzige Fischerboote liegen vor der Mole auf Grund. Letzte Reste der einst blühenden Pilchard-Fischerei. Die Pilchards, junge Heringe, lieferten, frisch oder eingesalzen, Zigtausenden Menschen Essen und Arbeit. Bis die Schwärme ausblieben. Zu viel gefischt. Heute bringen sich die Fischer der kleinen Küstendörfer mit dem Fang von Krabben und Shrimps mehr schlecht als recht über die Runden. Wenn sie nicht in einer der Fangflotten des letzten großen Fischereihafens Cornwalls, Newlyn, anheuern, um gegen spanische und andere EU-Konkurrenten in die Seeschlacht auf internationalen Gewässern zu ziehen.

Michael aus Cadgwith hat es versucht. Das Geld lockte. Und seine Frau erwartete ein Kind. Aber er kehrte zurück zu seinem kleinen Boot, zurück aus der weiten Welt der Hochsee in die Küstengewässer des Lizard, zurück vom Thunfisch zu seinen Krabben. Gemeinsam mit seinem Freund Peter lief er aus, seine Kescher einzusammeln, nicht weit von der Küste, nahe der Stelle, die man Blackhead nennt. Tage später fanden die Rettungshubschrauber aus Culdrose das Boot, gekentert, der Hund als Einziger in der Kabine, ertrunken. Von Michael und Peter keine Spur. Beide geübte Schwimmer, hatten sie im kalten Märzwasser allein keine Chance. Niemand hat den Unfall gesehen. Und der „Blackhead Lookout“ der Küstenwache ist nicht mehr besetzt.

Die letzten Häuser von Coverack. Schon treiben uns wieder die beiden Mauern rechts und links der Straße nach ihrem Willen. Und John lässt sich willig treiben. „Ich werde ein bisschen später kommen“, hat er seiner Frau via Autotelefon mitgeteilt. Die Zeit? Spielt keine Rolle. Und das Geld? Ach, da waren doch die beiden alten Ladies vor ein paar Tagen, die unbedingt nach Hause gebracht werden wollten. Nach London. Eine solche Fuhre bringt fast zwei Monatsverdienste. „Und wozu soll ich mehr haben, als ich brauche?“

„John’s Taxi“ rollt. Steil windet sich die Straße zurück von der Küste hinauf zum Hochplateau. Wann wir nach Ruan Minor kommen werden? Gleichgültig. In Wahrheit sind wir schon längst da, in Wahrheit ist man in Ruan Minor, sobald man in Redruth „John’s Taxi“ besteigt, um in die geheimnisvollen Adern Cornwalls einzudringen, die jeden unweigerlich irgendwann zum rechten Ort bringen. Nach Cadgwith, nach Helston, nach St. Ives oder eben nach Ruan Minor. Ein geschlossener Kreislauf, in dem der Puls der Ruhe schlägt, der Gelassenheit. Vielleicht der Resignation?

Der Teufel überschreitet den Tamar nicht, denn er hat Angst, andernfalls zu Cornish Pasty verarbeitet zu werden. Sagt man. Die Eisenbahn, wiewohl nicht pasty-gefährdet, wird es bald dem Teufel gleichtun; zu teuer werde es für zukünftige private Betreiber sein, die wacklige Brücke über den Grenzfluss zu erneuern. Sagt man. Und auch von der Regierung fühlen sich die „Cornishmen“ nicht selten alleingelassen: zuletzt im Fischereikrieg mit den Spaniern und im Kampf um die Erhaltung der letzten Zinnmine. England hat Cornwall vergessen, könnte man meinen. Vielleicht ist es gut so. Und vielleicht verhält es sich auch umgekehrt.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 4. Februar 1995

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