„Sonst weiß ich nicht, wozu der Frühling kommt“

Architekt aus Teheran, derzeit Wien-Ottakring: Hamid Mohtashem.


Er spricht das Deutsch des Wiener Bürgertums, fährt gerne Ski, kann Kühe melken, Stall ausmisten, und die obersteirischen Volkstänze kennt er schon seit Kindertagen. Trifft er freilich auf Unbekannte, dann kann es ihm schon passieren, dass man sich in der sattsam bekannten Du-sprechen-Deutsch-Sprache an ihn wendet; und kehrt er von einer Auslandsreise zurück, dann wird sein österreichischer Pass besonders genau kontrolliert: Denn die Fremde ist Hamid Mohtashem ins Gesicht geschrieben.

„Wenn man in einer bestimmten Gesellschaftsschicht drinnen ist, dann ist das kein Problem“, erzählt der in Teheran geborene Architekt, der seit fast 40 Jahren, von kleineren Unterbrechungen abgesehen, in Österreich lebt. „Ich verkehre mit vielen Menschen, die selbst ausländische Freunde haben, politisch in meiner Richtung sich engagieren. Aber wenn Ausländer nicht in diesen Kreis hineinwachsen können, dann spüren sie das bestimmt wesentlich mehr.“ Und: „Das ist in den vergangenen Jahren strikter geworden. Unterschwellig war’s immer da, und jetzt wird’s ausgesprochen. Ich versuche einfach zu verhindern, in eine Gesellschaft zu kommen, in der ich mich verteidigen muss. Und wenn ich drinnen bin, dann versuche ich, mit Vernunft zu klären, wer den Fehler gerade macht in einem Gespräch. Viele sagen ja einfach: Ausländer – schlecht.“

Ende der Fünfzigerjahre ist Mohtashem gemeinsam mit seinem Bruder nach Österreich gekommen: „Meine Eltern haben sich entschieden, uns hierherzuschicken, damit wir eine gute Schulausbildung bekommen, in Persien gab’s damals nur wenig Erwähnenswertes. Es wurde ein Rundschreiben an Schulen gesandt, einige haben reagiert, und eine von ihnen war in der Steiermark, in Stainach-Irdning, mit dem Schülerheim in Schloss Trautenfels. Das lag günstig, drei Kilometer von der Schule entfernt, der Direktor war ein netter, alter Herr, und er hat uns als erste Ausländer in der Gegend aufgenommen.“

Ein Leben als neugierig beäugte Exoten begann: „Im ersten halben Jahr haben wir sehr unter Heimweh gelitten. Es war Oktober, das weiß ich noch, und es war saukalt, Schnee meterhoch. Wir waren es nicht gewohnt, in einem Heim zu leben, noch dazu bei den Heizproblemen, die wir hatten. Unsere Wärmeflaschen im Bett, die waren am nächsten Morgen Eisklumpen. Wir wollten wieder Wärme haben, den direkten Kontakt mit den Eltern, das ging aber nicht. Da waren wir machtlos. Es wurden lange Briefe geschrieben, da sagte man uns: Haltet noch aus bis zum Sommer. Und im Sommer sagte man dann: Jetzt habt ihr ein Jahr gut ausgehalten, jetzt probieren wir es noch ein halbes Jahr. Mein Bruder war ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zu bändigen. Ich dagegen bin auf dem Weg gegangen, der mir vorgegeben wurde.“

Mohtashem wird zum begeisterten Bergsteiger, Skifahrer – und Volkstänzer. Einmal berichtet sogar die Lokalpresse über den kleinen Perser, der den Steirern auf den Tanzböden der grünen Mark Konkurrenz macht. Da hat er die Hauptschule schon abgeschlossen und arbeitet, zur Vorbereitung seiner weiteren Ausbildung an der höheren landwirtschaftlichen Lehranstalt in Wieselburg, als Praktikant auf einem Bauernhof: „Um vier Uhr früh Kühe melken, ausmisten und so weiter. Im Winter war ich dann auch Liftboy.“

Der Matura in Wieselburg folgt ein Kurzbesuch an der Universität für Bodenkultur, anschließend das Architekturstudium an der Technischen Universität Wien. „Der große Wunsch war immer, nach Persien zurückzugehen. Ich wollte in unserem Land etwas tun. Das Gefühl habe ich immer gehabt“, erinnert sich Mohtashem heute. „Aber ich habe mehr und mehr das Interesse verloren. Als Idealist hatte man in diesem Land keine Chance, da war man eher das schwarze Schaf. Und meine Eltern waren auch vorsichtig. Meine Mutter hat gesagt, es hat keinen Sinn, wenn du herkommst, am Ende kriegst du auch noch Probleme. Ab diesem Zeitpunkt wollte ich im Ausland bleiben.“

Österreichischer Staatsbürger wurde er allerdings erst im zweiten Anlauf. Bei seinem ersten Versuch, Mitte der Siebziger, immerhin war er da schon gut 15 Jahre im Land, habe man ihn nach dem Motto empfangen: „Wos wüst eigentlich?“ 1978, mit der Anmeldung zur Diplomprüfung in der Tasche, sei plötzlich alles ganz anders gewesen: „Da wurde ich auf einmal gern empfangen. Und innerhalb von drei Monaten war alles erledigt.“

An eine Rückkehr nach Teheran sei jedenfalls nicht zu denken: „Der Zug ist für mich abgefahren. Auch gefühlsmäßig bin ich heute eher in Europa zu Hause. Oder in Amerika: Meine Familie ist über die gesamten Vereinigten Staaten verstreut, da lebt keiner mehr im Iran.“ Was er in Österreich vermisst? „Eine gewisse Form von Oberflächlichkeit. Ich bin so erzogen, dass ich bei allem die Übersicht behalte und nicht immer ins Detail gehen muss. Gedanklich große Sprünge zu machen, ohne in die Tiefe zu gehen, ohne lange zu überlegen, welche Konsequenzen das hat. Schnelle Entscheidungen ohne viel Bürokratie. Es gibt eine bestimmte Trägheit der Europäer, die sofort eine geschichtliche Rückkoppelung machen müssen, bevor sie einen Gedanken akzeptieren können. Das macht mich mitunter ungeduldig.“

Und wie geht es dem Südländer mittlerweile mit dem Winter? „Ich liebe den Schnee, ohne Schnee kann ich nicht mehr sein. Mein Körper braucht das. Ich muss die Kälte spüren, sonst weiß ich nicht, wozu der Frühling kommt. In den Vereinigten Staaten habe ich das erlebt, Sonnenschein vom Anfang des Jahres bis zum Ende. Fürchterlich.“


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 15. Februar 1997

Weitere Artikel