„Jaja, aber Sie sind nicht wie die!“

Sprachlehrerin aus Hawaii, derzeit Wien-Favoriten: Charlene Yogi-Blaha.


Charlene Yogi-Blahas Gesicht gehört in vielen Wiener U-Bahn-Stationen seit Jahren zum Inventar: Von den Plakaten einer renommierten Sprachschule streckt sie, als Spitze einer Pyramide aus Köpfen, den auf den Bahnsteigen Wartenden ihre Zunge entgegen, auf die man ihr den Union Jack gemalt hat. Die britische Flagge als Symbol: Yogi-Blaha spricht Englisch, will es uns bedeuten. Trotzdem: Britinnen stellt man sich anders vor. Und tatsächlich wären der Dame mit den asiatischen Zügen Stars and Stripes eher angemessen, wurde sie doch, als Mitglied einer aus Okinawa, Japan, eingewanderten Familie, auf Hawaii geboren.

Was sie nach Österreich brachte? Zuallererst eine mit ihr durch Europa reisende Freundin, die die Lipizzaner sehen wollte, 1977. Und da war dann dieser junge Mann aus Wien im Nachtzug nach Venedig: „Keiner von uns hatte einen Platz reserviert. So blieb uns nichts anderes übrig, als auf dem Gang zu stehen, viele Stunden lang. Wir kamen ins Gespräch, er war sehr nett, es hat Spaß gemacht, aber es war nichts Ernsthaftes.“

Etliche Jahre mit eher lockeren Briefkontakten folgten: „Ich ging zurück nach Hawaii, um meinen ,Master’s degree‘ zu machen. Und eines Tages dachte ich, es sei Zeit, nach Europa zurückzukehren. Wohin anders hätte ich schon gehen sollen als alleinreisende Frau, ohne mich unwohl zu fühlen?“

So schrieb Charlene Yogi jenem netten jungen Wiener von damals einen Brief: „Er antwortete, dass ich doch zu seiner Geburtstagsparty kommen solle. Ich kam – und ich blieb. Den ganzen Urlaub hindurch. Alles sehr romantisch – aber nicht realistisch. Also sagte ich: Wenn du die Beziehung weiterführen willst, dann musst du nach Hawaii kommen. Ich wollte ihn rohen Fisch mit meinem Vater essen sehen. Und er kam – und blieb, sechs Monate lang.“

Mittlerweile ist Charlene Yogi seit gut elf Jahren auch Frau Blaha und lebt in Wien. An die erste Zeit in ihrer neuen Heimat denkt die Gerontologin mit Universitätsabschluss nicht nur mit Freuden zurück: „Es begann der erniedrigende Prozess der Jobsuche. Psychisch war es für mich sehr schwierig, dass ich meinen eigentlichen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Mein Beruf war meine Identität. Ich bewarb mich, wo ich konnte, schließlich sogar als Empfangsdame eines Friseurs. Das war am schlimmsten. Ich erinnere mich an das Vorstellungsgespräch – mit einer Frau, die sehr viel jünger war als ich; ich kam mit all meinen Unterlagen, ich hatte ja eine durchaus beachtliche Karriere hinter mir, und der einzige Kommentar, den sie machte, war: Oh, ich mag, wie Sie sich anziehen.“

Und dann, eines Tages, diese Annonce der Sprachschule: „Ich dachte: Englischlehrer soll ich jetzt werden? Aber es war immerhin besser als alles andere. Am Anfang war meine Haltung: Ich bin kein Lehrer, ich tue das nur, um einen anderen Job zu bekommen. Mit der Zeit aber habe ich gesehen, dass das gar kein so schlechter Beruf ist. Heute sage ich: Ich bin Lehrer. Ich habe meine Berufslaufbahn gewechselt, okay. Das ist alles.“

Manch andere Gegebenheit ihres neuen Lebens bereiten Charlene Yogi-Blaha freilich auch nach mehr als einem Jahrzehnt noch Schwierigkeiten: „Vor allem die Art, wie die Menschen hier miteinander umgehen. Ich meine: immer diese Unhöflichkeit. Kürzlich war ich in London. Ich war begeistert, wie freundlich die Menschen zueinander waren. Das ist eine Riesenstadt, aber jeder sagt: Entschuldigen Sie, es tut mir leid, bitte, danke. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass das hier nicht möglich zu sein scheint; ich versuche noch immer, die hiesige Mentalität zu verstehen.“

Immerhin hat Yogi-Blaha mittlerweile gelernt, „den Alltag nicht persönlich zu nehmen“: „Anfangs dachte ich, die Menschen mögen mich nicht, dann bemerkte ich, dass viele Menschen einfach so sind und dass das nichts mit mir zu tun hat. So habe ich mir bestimmte Vorsichtsmaßnahmen angewöhnt. Ich betrete beispielsweise kein Geschäft, in dem mehr als fünf Kunden warten, weil ich es einfach nicht ertrage, wenn sie sich nicht anstellen, wenn sie nicht abwarten können, bis sie dran sind. Wenn ich hier bleiben will, dann muss ich eben mit solchen Dingen leben lernen.“

Gewöhnt hat sie sich auch an ihr Domizil in Wien-Favoriten, inmitten eines Gebiets mit einem hohen Anteil an fremdländischer Wohnbevölkerung, vor allem aus der Türkei: „Die Menschen sind wirklich freundlich, es gibt richtig nachbarschaftliche Beziehungen. Acht Jahre lang habe ich im siebenten Bezirk gewohnt, dort habe ich niemanden kennengelernt, sieht man von einem Schuster ab, der aus Usbekistan stammte und sehr freundlich war, wahrscheinlich weil ich wie er aus dem Ausland kam. Aber alle anderen? Jetzt, im zehnten Bezirk: Jeder kennt jeden. Es ist wie in einem Dorf. Und es ist schon vorgekommen, dass die Kassierin im Supermarkt, weil ich zu wenig Geld dabeihatte, den Rest einfach bei mir zu Hause abgeholt hat. Das ist doch wunderbar. Das hilft mir, hier zu leben. Es ist schmutzig, gewiss, aber diese Form von Nachbarschaft, das möchte ich nicht missen.“

Probleme als erkennbar Nichteinheimische hatte Charlene Yogi-Blaha jedenfalls bisher nicht: „Asiaten sind ja durchaus angesehen. Die Stereotypen, die damit verbunden sind: Asiaten sind ruhig, arbeiten hart, sind sehr sorgfältig, stören niemanden – wenn man von der chinesischen Mafia absieht. Ich bin also keine Bedrohung. Bei den Türken wird das schon ganz anders empfunden. So kommt es, dass sich Wiener bei mir über Ausländer beschweren. Wenn ich dann sage: ,Pardon, ich komme auch aus dem Ausland‘, kommt immer die Antwort: ,Jaja, aber Sie sind nicht wie die.‘“


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 15. März 1997

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