Alexander Tollmann: Ich hab‘ die ganze Welt versäumt

Alle anderthalb Monate habe ich einen Skandal gehabt. 45 Jahre hindurch. Entsetzliche Kämpfe, immer am Hinaushaun. Ich könnte Ihnen Sachen erzählen …“ Alexander Tollmann, Geologe, Anti-Zwentendorf-Aktivist, Gründer der Vereinten Grünen: ein Gespräch über Wissenschaft und Wissenschaftler, „Vera“, den Weltuntergang und den Tod seiner Frau.


Alexander Tollmann, Sie waren Mitinitiator der politischen Grünbewegung in Österreich, Sie waren Leitfigur des Widerstandes gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf . . .

Darf ich Ihnen mein Buch „Desaster Zwentendorf“ geben, das hat sich kein Verlag zu drucken getraut, weil es so brisant war in der Zeit damals, ich habe es auf meine Kosten publiziert, wenn es Sie interessiert, es ist ein Stück erlebte Zeitgeschichte, bitte.

Sie waren Vorstand des Instituts für Geologie der Universität Wien . . .

Zwölf Jahre lang.

Sie haben ein mehrbändiges Werk zur Geologie Österreichs geschrieben . . .

Es hat kein anderes Land ein so umfangreiches, ich hab‘ jahrelang den Sommer hindurch alle Stellen aufgesucht, das war mein Hauptanliegen.

Das ist der Sucus einer langen, vor allem wissenschaftlichen Karriere. Und jetzt begeben Sie sich mit Ihrem neuesten Buch, „Das Weltenjahr geht zur Neige“, in die Gesellschaft dubioser Weltuntergangspropheten, wie sie gerade im Schatten der sogenannten Jahrtausendwende ins Kraut schießen. Warum tun Sie sich das an?

Aus zwei Gründen. Erstens bin ich sicher, dass es die Fähigkeiten der Prophezeiung gibt. In unserer Familie sind mein Vater stark, ich ein bisschen und mein Sohn wieder stark sensitiv, wir haben Schauungen gehabt, die wir überprüfen konnten.

Ein Beispiel?

Ein sehr eindrucksvolles war 1938. Mein Vater hat in der Nacht gearbeitet und ist in der Früh länger liegengeblieben, wir sitzen beim Frühstück, und plötzlich hören wir ein Schreien im Zimmer, schauen hinein, steht mein Vater mit geschlossenen Augen vor dem Fenster und ruft: „Um Gottes willen, unser Schwiegervater, er ist drüber der Donau in Floridsdorf, er schneidet den Baum um, er schneidet die Äste ab, der eine Ast reißt ihn mit hinunter, er liegt unten, er ist tot.“ Er hat also das ganze Ereignis gesehen und geschildert, wir haben zu dritt das gehört, es lebt noch ein Zeuge, mein Bruder, Bruno Tollmann, er kann sich auch an alle Einzelheiten erinnern. Also, ich habe gewusst: Es gibt diese Kräfte.

Und der zweite Grund?

Der zweite war, dass dieses Buch praktisch aus jenem über die Sintflut, „Und die Sintflut gab es doch“, erwachsen ist. Bis zur Zeit des Sintflutbuches, Anfang der Neunziger, hatten meine Frau und ich ja noch keine Prophezeiungen gelesen; wir sind aufmerksam geworden, weil wir gewusst haben, dass an manchen Prophezeiungen was dran ist, dass die meisten aber Scharlatanerie sind. Es treiben sich Scharlatane herum, das würde man nicht für möglich halten. Und wir haben mit derselben Methode wie beim Sintflutbuch begonnen auszusortieren, was falsch und was richtig ist; an das hat sich niemand von den naturwissenschaftlichen Kollegen gewagt, wenn man das tut, wird man ja in Fachkreisen zerrissen, das kommt bei mir auch, aber das ist mir wurscht.

Hat Ihre Hinwendung zur Metaphysik auch mit der langen Krankheit und dem Tod Ihrer Frau zu tun?

Überhaupt nicht. Sie hat ihre Krankheit einfach weggesteckt, sie ist auf Expedition gefahren, da hat sie schon Brustkrebs gehabt, in Wüsten, in Urwälder, sie war ja auch Geologin. Diese Kasteln hier waren in ihrem Zimmer, da hat sie ihre Literatur dringehabt, und bei einem solchen Schreibtisch ist sie gesessen und hat vom Mikroskop dann oft weggehen müssen, die hat eine Minute gebraucht, um die Kraft zum Aufstehen aufzubringen – und hat mehr Arbeiten gemacht als alle Assistenten von mir zusammen.

Ich glaub’s zwar nicht, auch nach Lektüre Ihres Buches nicht, aber nehmen wir an, Ihre Prophezeiung stimmt, nächstes Jahr bricht der Dritte Weltkrieg aus, und ein anschließender Kometeneinschlag vernichtet unsere Zivilisation. Was nützt es uns, das jetzt zu erfahren, was nützt es Ihnen, davon zu erzählen, wo Sie doch meinen, die Katastrophe sei ohnehin unabwendbar? Geht es Ihnen nur darum, im Fall des Falles recht gehabt zu haben?

Nein, nein, ich bin froh, wenn ich nicht recht habe und alles falsch ist. Ich schreibe wissenschaftliche Arbeiten in erster Linie für mich. Wir klären eine Sache am besten dadurch, dass wir sie zu Papier bringen, in der Geologie etwa Zeichnungen machen. Das Buch ist für uns geschrieben, ich habe lange überlegt, ob ich es publizieren soll.

Was hat Sie Ihr Zögern überwinden lassen?

Ich hab‘ mir gedacht, dass es ja mindestens 15 Bücher über die Endprophezeiungen aus neuester Zeit gibt, da kann ich ein 16. auch schreiben, für jene, die wirklich an die Wurzeln gehen wollen, das war der Hauptgrund.

In Ihrem Sintflutbuch haben Sie den Tag des Kometeneinschlags, der Ihrer Meinung nach die Sintflut eingeleitet hat, so genau angegeben, als wären Sie dabeigewesen. Jetzt behaupten Sie auch noch, den Untergang unserer Zivilisation präzise datieren zu können.

Das ist mein Hobby, dass ich immer exakte Daten zu ermitteln suche, das war in der Geologie auch so. Und wenn ich überzeugt bin, teile ich sie mit, wo es irgend geht. 1960 habe ich eine riesige internationale Konferenz in Würzburg gehabt; kurz davor bin ich draufgekommen, dass die Kalkalpen in der letzten Phase 185 Kilometer weit horizontal über die Zentralalpen drübergeschoben worden sind. Das habe ich bei dieser Tagung gesagt, das hat einen Wirbel gegeben, das war unglaublich. Nachher sind Kollegen gekommen und haben gemeint: Sie hätten doch nicht sagen müssen „185 Kilometer“, hätten Sie nur gesagt „sehr weit“, dann hätte Ihnen keiner widersprochen. Das mach‘ ich nicht. Wenn ich’s weiß auf den Kilometer genau, dann sage ich es.
Ich weiß, dass an der Wende vom Juli zum August 1999 der Dritte Weltkrieg kommt, aus vielen, vielen Mitteilungen. Genauso ist es mit den Prophezeiungen für die Endkatastrophe. Nostradamus hat unverschlüsselt gesagt, im Jahre 1999 Sept – ohne Punkterl! – kommt der Schreckenskönig vom Himmel. Das kann heißen September oder siebenter Monat. Da wir von vielen Propheten wissen, der Dritte Weltkrieg dauert ungefähr drei Monate, und sicher ist der Beginn im Sommer, so muss es September heißen und nicht siebenter Monat, sonst geht es sich nicht aus. Der September aber ist beim Nostradamus in der Renaissance noch nach dem Julianischen Kalender, muss man ein paar Tage dazugeben, dann kommt man an den Anfang des Oktobers.

Sie glauben, dass unsere Zivilisation 1999 untergeht. Wie bereiten Sie sich vor?

Fast nicht. Schaun Sie, ich habe mein Leben gelebt. Und ich glaube auch, es ist nicht mehr lebenswert nachher, nach dem Impact, dem Kometeneinschlag. Das Um und Auf in dieser ganzen Sache, und das publiziert mir niemand, ist, dass wir jetzt 442 laufende Atomkraftwerke haben und dazu die Kessel von den Wiederaufarbeitungsanlagen, von den militärischen Anlagen, es ist ganz egal, wo die Kometentrümmer einschlagen, die sind so stark, einen halben Kilometer, einen Kilometer groß, die Beben, die dadurch entstehen, sind 50-, 100mal so stark wie das stärkste irdische und laufen rund um die Erde, nach meiner Vorstellung geht mit Sicherheit eine beträchtliche Anzahl von Kernkraftwerken zugrunde, die Kühlleitungen werden reißen, der Strom fällt ja aus bei so einem Impact, Radioaktivität wird ausströmen wie in Tschernobyl.

Was, wenn Sie sich geirrt haben _ und mit Ihnen alle Propheten, auf die Sie sich stützen? Was, wenn das Jahr 1999 verstreicht, und es kommt kein Dritter Weltkrieg, und es kommt kein Komet?

Das ist mit Sicherheit nicht möglich. Ich habe mich in den großen Dingen nie geirrt. Ich habe beim Atomkampf gesehen, was herauskommt, und habe ihn gewonnen; auch das Sintflutbuch wird der Reihe nach bestätigt, ich bin sicher, dass ich mich nicht geirrt habe. Schaun Sie, ich zeig’s sonst nicht her, aber weil man mich sonst als Scharlatan brandmarkt: Wissen Sie, was das ist? Das ist eine Art Iffland-Ring für Naturwissenschaftler, der Gustav-Tschermak-Preis, der ist wenig bekannt, den gibt immer einer an den weiter, den er für den besten hält. Ich habe schon einen nächsten nominiert.

Wozu das, knapp vor dem Ende unserer Zivilisation?

Es bleibt ein Drittel der Menschheit übrig. Auch die Arbeit in meiner Burg im Waldviertel hat noch einen Sinn. Ich habe unendlich wertvolles paläontologisches Material von meiner Frau, die meist im Alleingang rund um die Welt Expeditionen gemacht hat, unter widrigsten Umständen.

Gleichsam von Beginn Ihrer Karriere begleitet Sie der Ruf des Forschers, der sich gegen alle stellt. Glauben Sie, dass die anderen immer irren?

Da ist bei mir nicht die geringste Gefahr. Wenn ich irgendwo unrecht gehabt habe, in kleineren Fragen ist das ein paarmal vorgekommen, habe ich sofort revidiert und geschrieben: Der hat neue Beweise, und die erkenne ich an. Ich bin für die Wahrheit.

Und für das, was Sie für wahr halten, kämpfen Sie gegen alles und jeden.

Ich erzähl‘ Ihnen eine Geschichte: Im Parlament, da war der Josef Staribacher, damals Handelsminister, bei den Verhandlungen rund um die Atomgeschichte, und da haben sie Experten gehabt, außer zweien, die dagegen waren, waren die alle von der Pro-Seite, lauter Professoren, Ordinarien und so weiter, und der Staribacher war immer ganz entsetzt und hat zu mir gesagt: Sehen Sie nicht, da sind ja sieben gegen Sie! Hab‘ ich gesagt: In der Wissenschaft wird nicht abgestimmt, da ist es vollkommen egal, wie viele gegen mich sind. Wenn ich weiß, es ist so, dann muss ich das vertreten.
Ich habe keinen guten Eindruck von den Wissenschaftlern, ich habe den Eindruck, dass die meisten das nachsagen, was sie gehört haben. Im Jahre 1959 haben die deutschen Geologen angefangen, die ganze Deckenlehre, das heißt die Überschiebungen in den Alpen, nicht zu glauben, und haben in den Kalkalpen 80 Leute eingesetzt, die das Ganze hätten revidieren sollen, die haben alle miteinander Blödsinn gemacht. Aber es sind auch alle österreichischen Geologen umgefallen, haben gesagt, wenn da 80 arbeiten, dann wird es stimmen, und ich bin allein gestanden. Ich bin immer allein gestanden.

Brauchen Sie das? Suchen Sie das?

Nein. Überhaupt nicht, weil mir meine Person wurscht ist.

Der offizielle Zwentendorf-Gutachter Julius Drimmel meinte zu Ihrem Anti-AKW-Engagement, Sie hätten sich „in einer Weise eingemischt, die für einen Universitätsprofessor erniedrigend“ sei. Es hagelte Attacken von vielen Seiten. Sie hatten eigentlich mit der ganzen Sache ursprünglich nichts zu tun. Warum haben Sie sich zu Wort gemeldet?

Ich hab‘ das nicht wollen. Schaun Sie, da ist die Zäsur: Zwischen diesen zwei Bänden meiner Geologie Österreichs liegt Zwentendorf, das hat mich sechs Jahre gekostet. Wenn es Sie genau interessiert, ich habe gerade einen Nachruf geschrieben auf die Frau Müller, das war eine einfache Bürgersfrau, und die hat frühzeitig begriffen, welche Gefahren die Atomtechnologie bringt. Und die hat Rundschreiben gemacht und hat meine Frau mobilisiert und meinen Sohn. Die Frauen sind ja viel klüger als die Männer.
Und noch etwas: Von den „Niederösterreichischen Nachrichten“ ist ein Redakteur gekommen und hat mir die geheimen Gutachten vorgelegt, die er aus der Landesregierung gehabt hat, und hat mich gefragt: Sind die richtig oder falsch? Da ist es gegangen um das Waldviertel. Und die waren grundfalsch, es war peinlich, die haben überhaupt nicht die Satellitenbilder berücksichtigt, die man schon gehabt hat. Das habe ich nicht hinnehmen können, dass da so ein Blödsinn drinnensteht. Und ich hab‘ dann geschrieben: Der Regierungsbericht ist falsch. Das wäre klagbar gewesen. Wenn die sicher gewesen wären, hätten sie mich geklagt.

Wenn Sie heute an die Vorgänge rund um die Zwentendorf-Abstimmung zurückdenken, was fällt Ihnen als Erstes ein?

Es gibt sehr positive Erinnerungen, die ich nur aus zwei Zeiten habe: zum einen aus der Nazi-Zeit, wo die ganze Familie, die ganze Verwandtschaft gegen den Hitler war.

Ihr Vater war Sozialist, liest man meist.

Schreiben Sie, er war ganz links. Er hat für die Bedingungen der Arbeiter gekämpft, er hat ja noch die schlechten Zeiten erlebt, keine Pension und nix. Er war Schriftsetzer. Wo waren wir?

Bei den positiven Erlebnissen.

Ja. In der Nazi-Zeit, da haben wir Widerstand gemacht, die ganze Sippschaft, bis Oberösterreich, nicht organisiert, das war damals schier unmöglich, wenn wir eine Organisation gehabt hätten, und die hätten einen geschnappt, den hätten sie so lange gefoltert, bis er die anderen verraten hätte. Wir haben uns ganz locker getroffen, Sozialisten, Monarchisten, alle möglichen. Da haben wir uns Tipps gegeben. Der eine hat gesagt, er weiß einen Arzt, wenn einer nicht einrücken will, der legt ihm den Fuß in Gips, auch wenn er nichts hat. Die haben für wildfremde Menschen damals ihr Leben eingesetzt, das war ja leicht nachweisbar. Wir haben halt gemacht, was gegangen ist. Und da hat mir so gefallen, dass endlich diese Voreingenommenheiten – der ist ein Linker, der ist ein Monarchist – weg waren.
Dieses Erlebnis habe ich noch einmal im Atomkampf gehabt. Da haben wir unsere Zentrale für die Flugblätter für ganz Österreich am Schottentor gehabt, da sind alle hingekommen, die Linken und die Rechten, und die haben die Flugzettel geholt, da haben wir auch keine Unterschiede gemacht. Dadurch ist für mich das ein sehr positives, großartiges Erlebnis. Auf der einen Seite. Düstere Erinnerungen habe ich natürlich auch, beliebig viele. An den Folgen dieses Kampfes habe ich bis heute zu tragen.

In welcher Beziehung?

Wissen Sie, wenn ich das sage, mach‘ ich mich jetzt noch angreifbar. Im Rundfunk und im Fernsehen beispielsweise bin ich ausradiert.

Sie waren erst kürzlich bei „Vera“.

Dass die „Vera“ mich genommen hat, ist eine einmalige Sache. Sie hat mir eh alles, was kritisch ist, weggeschnitten, und ich habe ihr ein Dankeschön geschrieben und sie gelobt, weil ich weiß, wie schwer das für sie ist.

Sie kommen aus einem linken Elternhaus. Heute sind gerade die Linken, auch in Ihren Büchern, Hauptzielscheibe Ihrer Kritik. Hängt das mit dem Erlebnis Zwentendorf und mit den Kontroversen mit Bruno Kreisky zusammen?

Überhaupt nicht. Das hängt damit zusammen, dass ich als ehemaliger Linker besonders kritisch bin, wenn diese Richtung eine Schweinerei macht. Das ertrage ich am allerwenigsten. Wenn das ein Nazi macht, na gut, seh‘ ich es ein, das ist sein Wesen, aber aus diesen Reihen habe ich anderes erwartet. So wie ich bei den Politikern erwartet hab‘, dass sie nicht Nadelstreifdiplomaten werden, wenn sie aus der Arbeiterbewegung kommen.

Einige Zeit nach der Zwentendorf-Kampagne wechselten Sie in die Politik, an der Spitze der Vereinten Grünen. Wenig später konstatierten Sie, die Politik sei „genauso dreckig“, wie Sie sie sich vorgestellt hätten. Wiederum wenig später forderten Sie, knapp vor den Nationalratswahlen 1983, Ihren VGÖ-Mitstreiter Herbert Fux in einer rabiaten Attacke zum Verzicht auf die Kandidatur auf, die Vereinten Grünen verpassten den Einzug ins Parlament.

Absichtlich, ich hab‘ gewusst, was herauskommt. Ich hab‘ mir gedacht, solche Leute bringe ich nicht ins Parlament.

Ist Ihre politische Karriere an Ihrer Monomanie gescheitert?

Ich habe keine politische Karriere wollen. Ich hab‘ ja nicht um der Politik willen gekämpft. Ich hab‘ gesehen, ich muss diese Partei machen, um dem Kreisky so viele Stimmen wegzunehmen, dass er nicht seine Vorsätze, weitere Atomkraftwerke zu installieren, durchsetzen kann. Ich hab‘ gewusst, was das heißt. Ich hab‘ gewusst, wenn ich in die Politik geh‘ und die Leute zum Greifen nah Abgeordnetenmandate haben, wie sich die drum raufen werden – und so ist es gekommen. Der Entschluss, in die Politik zu gehen, der war entsetzlich. Ich hab‘ mir gedacht: Habts mich doch gern, ihr Trotteln, ich hab‘ doch was Wichtigeres zu tun. Aber ich habe gewusst, wenn ich es nicht mache, haben wir die Atomkraftwerke.

Außer Arbeit scheint es in Ihrem Leben nicht viel gegeben zu haben. Hatten Sie nie Angst, etwas zu versäumen?

Ich hab‘ die ganze Welt versäumt, natürlich. Aber ich mach‘ mir keine Vorwürfe, es hat so sein müssen. Ich habe große Erkenntnisse gehabt, sechs in der Geologie, hundert kleinere, die sind immer sofort, wenn ich sie publiziert habe, auf das Schärfste angegriffen worden, und dann ist der Kampf gekommen, dass ich das begründe und nicht wie ein Trottel abserviert werde. Alle anderthalb Monate habe ich – meine Frau genauso – einen Skandal gehabt. 45 Jahre hindurch. Entsetzliche Kämpfe, immer am Hinaushaun. Ich könnte Ihnen Sachen erzählen . . .

Zum Beispiel?

Ich erzähl‘ Ihnen eine Geschichte für Sie persönlich, schreiben Sie das nicht.

Darauf kommt’s doch nicht mehr an, kurz vor dem Ende unserer Zivilisation.

Ja, es kommt eigentlich auf nichts mehr an. Aber es ist mir seit 1938 auf nichts mehr angekommen. Die haben mich einberufen am Schluss, ich bin nicht hingegangen, dann haben sie mich jede Woche mit uniformierten Polizisten, ich war damals 16, auf die Stelle, wo wir exerzieren hätten sollen, hingeführt, und dort hätt‘ ich immer mit „Heil Hitler“ grüßen müssen. Ich habe nicht ein Mal mit „Heil Hitler“ gegrüßt, da hat’s jedesmal einen Krach gegeben, ich hab‘ das nur überlebt, weil ich blond und blauäugig war, der germanische Typus. Aber ich hab‘ niemals das gemacht, was die wollten, wenn es mir nicht gepasst hat. Wissen Sie, ich bin kein humorvoller Mensch, das werden Sie bemerkt haben, ich bin todernst und traurig, seit der Nazi-Zeit ist viel in mir zerstört worden.

Sie wollten mir etwas anderes erzählen.

Ja, was mich sehr berührt hat, war die Akademie der Wissenschaften. Als ich Professor geworden bin, haben sie mich als korrespondierendes Mitglied aufgenommen, und da hat man den Status, dass man an den Beratungen teilnehmen kann, aber wenn das Budget aufgeteilt wird, muss man rausgehen. Erst ein wirkliches Mitglied darf mitentscheiden – was für einen Wissenschaftler natürlich sehr wichtig ist. Doch obwohl es dreimal eine Gelegenheit gegeben hätte, bin ich nie wirkliches Mitglied geworden. Und das liegt nur an Zwentendorf, das geht mir an allen Stellen so.

Mir ist ein Familienbild vor Augen, veröffentlicht 1983, Sie stehen hinter Ihrer Frau, links neben Ihnen Ihr Sohn Raoul. Alle lächeln, ein Idyll. Seither ist viel Zeit vergangen, Ihre Frau ist gestorben . . .

18 Jahre hat sie gekämpft.

Ihr Sohn ist in die Hände einer Sekte geraten . . .

Er ist wieder draußen, Gott sei Dank. Er hat sich gelöst.

Die Wissenschaft hat Ihnen wohl auch nicht viel Zeit für die Familie gelassen.

Und meine Frau hat’s genauso getrieben wie ich. Die war wesentlich besser als ich. Wir hatten volles Verständnis füreinander, weil wir gesehen haben, wie wichtig die Arbeit des anderen ist. Das kann man nicht behindern durch irgendwelche familiäre Gspaß. Ganz selten haben wir Sachen miteinander gemacht. Wir haben so schön angefangen, am Semmering, unsere erste Arbeit, da war sie noch Studentin, und ich stand ganz am Anfang, da haben wir einmal eine Woche Zeit gehabt und haben uns das große Werk von Cornelius, einem berühmten Geologen, vorgenommen, der die Karten vom Semmering gemacht hat, da sind wir draufgekommen, hinten und vorn stimmt das nicht, und haben etwas ganz anderes in einer Woche gefunden. Und wie sie das begriffen hat, hat sie sich so gefreut, hat gesagt, das wird ein wunderbares Geologenleben, wenn wir miteinander hinausgehen. Aber wir sind nie miteinander hinausgegangen, weil jeder so viel zu tun gehabt hat.

Tut Ihnen das leid?

Natürlich. Aber es war ein so harter Kampf, wir wären untergegangen.

Ende Juni feiern Sie Ihren 70. Geburtstag. Was wünscht sich ein Mensch, der sich gewiss ist, dass das nächste Jahr das Ende seines Lebens bringt?

Für mich wünsch‘ ich mir gar nichts. Ich möchte nur alle wissenschaftlich wertvollen Sachen beschriften und hoffe, dass ein Teil das Ganze übersteht. Und dass es zwei Generationen später noch einen Sinn hat, das auszuwerten.

Was wünschen Sie Ihrem Sohn?

Ich kann ihm nur das Überleben wünschen, denn er hat viele Ideen, und die soll er verwirklichen können.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 23. Mai 1998

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