Hepburn-Biografie: „Waren Sie auf der Toilette?“

Wie Katharine Hepburn keinen Monat nach ihrem Tod zu einer Biografie kam, die keine Biografie sein will – und doch alles erzählt, was in ihrem Leben wichtig ist: A. Scott Bergs „Katharine Hepburn – ein Jahrhundertleben“.


Das Jahrhundert hat schon bessere Zeiten gesehen. Kaum setzt sich irgendwo eine mittelmäßige Runde mittelmäßiger Damen und Herren zusammen, ein mittelmäßiges Papier zu verfassen, das in Folge noch durch eine übermäßige Fülle weiterer Mittelmäßigkeiten ins Untermittelmäßige abgewirtschaftet wird, siehe, schon heißt man es Jahrhundertreform. Jeder halbwegs eingängige Song wird zum Jahrhunderthit, jedes Stück Durchschnittsarchitektur, ist es nur groß genug, zum Jahrhundertbau. Zwei Zentimeter Neuschnee im Jänner – und schon haben wir es mit einem Jahrhundertwinter zu tun, an welchen sich unvermeidlich Jahrhundertlawine und, im Frühlingstau, Jahrhundertflut anschließen. Und kaum ist eine der zahllosen medialen Jahrhundertseifenblasen geplatzt, schon wird irgendein anderes Dings zum Jahrhundert-Bums aufgepumpt.

Nun also: „Katharine Hepburn – Ein Jahrhundertleben“. Einigermaßen peinlich berührt es, eine in vieler Hinsicht singuläre Figur der Filmgeschichte so medioker beschlagwortet zu sehen. „Jahrhundertleben“, das riecht nach Mottenkugeln und angemaßter Größe, riecht auch nach aktenseliger Archivarbeit eines wackeren Biografen, der sich – ohne nähere Kenntnis der Person – aus einem üppigen Fundus vorliegenden Materials so sein Biografiertenbild zusammengepinselt hat.

Nichts davon trifft auf den gegenständlichen Band zu, was sich nicht zuletzt am sehr viel stimmigeren Originaltitel „Kate Remembered“ ablesen lässt, etwas wie „Erinnerungen an Kate“ oder auch „Kate erinnerte sich“ annoncierend, was ohne viel Umschweife private Vertrautheit wie Parteinahme signalisiert. „Die Frau, um die es hier geht“, bekennt A. Scott Berg folgerichtig gleich im Vorwort, „hätte eine umfassende Biografie mehr als verdient. Doch bedauerlicherweise kann ich ein solches Buch nicht schreiben, da ich mich außer Stande sehe, unvoreingenommen über sie zu berichten.“ So viel Hellsichtigkeit stünde manchen Biografen gut an.

Freilich, was sollen wir uns nun unter „Kate Remembered“ vorstellen? A. Scott Berg: „Ein Buch, das – so wahrheitsgetreu wie mir eben möglich – über ihr Leben berichtet und sich dabei auf Gespräche stützt, in deren Verlauf sie sich erinnerte.“ Gespräche, die im Lauf jener letzten 20 Lebensjahre Katharine Hepburns zu Stande kamen, in denen Berg – wie er angibt – „eng“ mit ihr befreundet war.

Mit einem Gang zum Klosett fängt alles an. Wir schreiben 1983, Berg soll für die Zeitschrift „Esquire“ ein Gespräch mit der nicht gerade durch ihre pressemäßige Umgänglichkeit bekannt gewordenen älteren Dame führen. Und wird seinerseits in Hepburns Manhattaner Heim auf eine Art empfangen, auf die er – wie denn auch – durchaus nicht gefasst ist: „Waren Sie auf der Toilette?“ Und kaum ist Berg, nach einigem Zögern, der als Frage camouflierten dringlichen Empfehlung nachgekommen, kriegt er auch schon, nachhakend, zu hören: „Hat es sich gelohnt?“ Das kann nur der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.

Einer Freundschaft zwischen einer – damals – Mittsiebzigerin und einem Mann, der gut und gern ihr Enkel sein könnte, der Freundschaft zweier Menschen, die in den ersten Jahren, glaubt man Berg, sich selbst und so ganz en passant bessere Wortgefechte liefern, als Durchschnittshollywood sich und uns drehbuchträumen lässt.

Etwa: Wohnzimmer im Hause Hepburn, später Nachmittag nach Stunden voller vertraulich-vertrauter Gespräche.

Hepburn: „Hören Sie, ich finde, Sie sollten mich Kate nennen.“

Berg: „Okay, Kate. Und ich finde, Sie sollten mich . . . Mr. Berg nennen.“

Oder: Bergs zweiter Besuch, Hepburn öffnet die Tür.

Hepburn: „Sie kommen zu spät.“

Berg: „Aber nein, ich bin pünktlich auf die Minute.“

Hepburn: „Sie kommen zehn Jahre zu spät.“

Darling, ich bin im Kino.

Hat man solches nicht schon einmal gehört oder gelesen? Kann denn das alles wirklich so vorgefallen sein? Wir werden es niemals mit letzter Gewissheit erfahren, Berg hat auf Aufnahmegeräte aller Art verzichtet, nur jeweils nachträglich Notizen zu seinen Begegnungen angelegt. Was der Intimität des Augenblicks fraglos förderlich gewesen sein mag, den Beweisbedarf der Mit- und Nachwelt freilich unbefriedigt lässt. Hinlänglich dokumentiert ist die langjährige Verbindung der beiden, nicht zuletzt in Hepburns Danksagung zu ihren 1991 erschienenen Erinnerungen, in der sie Berg schlicht ihren „wichtigsten Kritiker“ nennt, oder in Bergs Pulitzer-Preis-geehrter Charles-Lindbergh-Biografie, 1998 herausgekommen, in der er, gleichfalls Dank sagend, Hepburn als seiner „guten Fee“ die Reverenz erweist. Was en détail zwischen beiden gesprochen worden ist oder auch nicht – da müssen wir A. Scott Berg vertrauen. Und warum denn eigentlich nicht?

So auch in jenen Passagen, in denen sich die unvermeidlichen „Enthüllungen“ finden, die Verlagen das vorzüglich Erwähnenswerte scheinen, wenn sie ihre Erinnerungsprodukte markt- und mediengerecht lancieren wollen. Voilà. In jungen Jahren habe Hepburn nackt posiert, für Fotos, erfahren wir („Wenn ich längst tot und begraben bin, wird sie, fürchte ich, jemand finden und sagen: ,Mensch, das ist doch die Hepburn!‘“, meint die Hepburn, so Berg). Ihr langjähriger Film- und Lebenspartner Spencer Tracy habe sie geschlagen, „einmal“. Und Kurzfristpartner Howard Hughes „hörte grundsätzlich nur, was er hören wollte“.

Dazu noch ein bisserl Allfälliges über die Kollegenschaft. Mit Woody Allen habe sie nie etwas anfangen können, Glenn Close zeichne sich vor allem durch „hässliche Füße“ aus. John Wayne? „Großer Mann. Kleiner Hintern.“ Arnold Schwarzenegger? „Ich verstehe nicht, was er sagt.“ Und dann war da noch ein seltsamer Nachmittag mit Michael Jackson, über den die Hepburn vor ihrem Tod nie berichtet haben wollte. Das reicht, alles in allem, für, sagen wir, zehn der 382 Seiten. Und sonst?

Sonst erfahren wir viel Konkretes über das, was Berg für die „bedeutendste Schauspielkarriere des 20. Jahrhunderts“ hält. Vorzüglich über die Mechanismen, die eine solche Karriere steuern, den beständigen – und bei einer Dauer von gut sechs Jahrzehnten auch ganz und gar unvermeidlichen – Wechsel zwischen Hausse und Baisse, zwischen Zeiten unstillbarer Nachfrage und Zeiten, in denen nichts so stillbar ist wie diese. Und vor allem erfahren wir auch einiges darüber, was man womöglich selbst dazu beiträgt, um von hie nach da und wieder retour zu kommen.

Etwa als Hepburn, Ende der Dreißiger nach einigen eher erfolglosen Filmauftritten vom Vorsitzenden der unabhängigen Filmtheater Amerikas, Harry Brandt, öffentlich als „Kassengift“ plakatiert (übrigens gemeinsam mit anderen notorischen Verlierern des Gewerbes wie Greta Garbo und Marlene Dietrich), wieder Tritt zu fassen sucht. Ein Stoff ist rasch gefunden, die Besetzung steht, als Regisseur wird George Cukor gewonnen, der ihr Jahre davor mit „A Bill of Divorcement“ zu einem Aufsehen erregenden Hollywood-Debüt verholfen hat. Hepburn – so Berg – erinnert sich: „Als wir zu drehen begannen, sagte ich zu ihm: ,Sieh mal, mein erster Auftritt sollte ganz unspektakulär sein. Das Kinopublikum hat mir bereits zu verstehen gegeben, dass es mich für affektiert oder so was hält. Ein Haufen Leute sähen mich am liebsten auf die Fresse fallen.‘“ – „Oder auf den Arsch“, verbessert Cukor. Und schon wird in das Drehbuch eine entsprechende Eröffnungsszene eingebaut: Gattin wirft Gatten aus dem Haus, samt Golfschläger und sonstig männlichen Accessoires; als sie jedoch einen Golfschläger demonstrativ über dem Knie zerbricht, kommt der Gemahl zurück und versetzt ihr einen so heftigen Stoß, dass es sie umhaut. Die Hepburn fällt, der Film, „Philadelphia Story“, wird zum Kassenschlager, und das vormalige „Kassengift“ ist zurück im großen Spiel namens Hollywood.

Eine launige Anekdote? Ja. Und doch noch mehr als das. Der eigentliche Skandal nämlich liegt keineswegs in Hepburns, nun ja, einigermaßen deutlich ausgeprägtem Selbstbewusstsein, das es hier wenigstens einmal coram publico zu erschüttern gilt, Anstoß erregt vielmehr vor allem, dass es hier eine Frau ist, die sich Rechte herausnimmt, wie sie sonst nur Männern – das freilich ohne Zaudern – zugestanden werden.

„Ihr größter ,Gesetzesbruch‘ war“, agnosziert Berg, „dass sie sich weigerte, als ,Frau‘ in einer von Männern dominierten Welt zu leben. Als freischaffende Schauspielerin verfolgte sie ihre Karriere auf die gleiche Weise wie ihre männlichen Kollegen und verzichtete meistens auf die Protektion durch ein Studio, einen Manager oder Agenten.“ Und sie tat das mit der ihr eigenen unerbittlichen Konsequenz schon in einer Zeit, in der die Gesellschaft dies- und jenseits des Atlantiks einer Frau als Hauptrolle im Leben einzig und allein die der Mutter zuwies.

Das heißt, so unerbittlich konsequent sah sie sich – folgt man Berg – selbst nicht unbedingt: „Ich musste ständig Kompromisse schließen. Doch ich habe mir immer genau überlegt, wann ich kämpfte. Nur dann, wenn es wichtig war. Und wenn ich das Gefühl hatte, dass ich gewinnen konnte.“

Ob sie bedaure, selbst keine Kinder zu haben, fragt Berg einmal. „Ich wäre eine Rabenmutter gewesen, denn im Grunde bin ich ein sehr selbstsüchtiger Mensch. Auch wenn das die meisten Leute nicht davon abhält, Kinder in die Welt zu setzen“, erwidert Hepburn. Schreibt Berg.

Zwischen 1999 und 2001 hat er seine Notizen aus fast zwei Jahrzehnten zu einem Buch gefügt, das letzte Kapitel am 29. Juni 2003 abgeschlossen, an dem Tag, an dem Katharine Hepburn 96-jährig starb. Zwei Wochen später lag es im amerikanischen Original auf dem Ladentisch, ab 1. August wird es sich deutschsprachig in den Buchhandelsregalen finden. „Ich fühlte, es sei Kates Wunsch, dass das Buch so schnell wie möglich nach ihrem Tod erscheint“, behauptet Berg. Und die Ernsthaftigkeit und Sorgfalt, die er an das Objekt seiner Bewunderung verwendet, lassen uns erst einmal gar nicht auf die Idee kommen, die Eile habe vielleicht auch mit merkantilen Interessen zu tun.

„Machen wir uns nichts vor“, meint Bergs Hepburn einmal herb, „im Grund prostituieren wir uns. Ich habe mich doch ein Leben lang verkauft – mein Gesicht, meinen Körper, meine Art zu gehen und zu sprechen. Unsere Devise lautet: ,Du kannst mich anschauen, aber du musst dafür bezahlen.‘“

Und an anderer Stelle: „Schauspieler sollten ihr Publikum nicht verlassen, solange das Publikum sie nicht verlässt. Solange die Leute kaufen, was ich zu verkaufen habe, verkaufe ich weiter.“ Wenn möglich, vielleicht auch über den Tod hinaus.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 26. Juli 2003

Weitere Artikel