Pater Kofi Patrick Kodom: „Du Neger, geh dorthin!“

Von einem, der aus Ghana auszog, Österreich zu missionieren. Und der als Seelsorger in der Schubhaft das Fürchten lernte. In der Serie „Ausland Wien“: Pater Kofi Patrick Kodom, derzeit Wien-Favoriten.


Eigentlich möchte er nach Hause zurückkehren. Sagt er. Oder irgendwo anders hingehen. Sagt er. Nur weg, lieber heuteals morgen. Sagt er nicht, aber man könnte es ihm nicht verdenken. Pater Kofi Patrick Kodom hat genug: „Als ich hierherkam, habe ich mir gedacht, für fünf Jahre. Inzwischen sind es bald zehn.“ Nein, nein, Österreich sei ein wunderschönes Land. Aber.

Was ihn noch hält: „Bis jetzt bin ich der Einzige, der die Seelsorgearbeit in der Schubhaft macht, und wenn ich weggehe, heißt das, die Jahre, in denen ich das aufgebaut habe, sind mit einem Schlag verloren.“

Wir sitzen im Haus der Dreifaltigkeitspfarre, Wien-Favoriten, in einer kleinen Wohnung, einfache Sitzecke, Tisch, Sessel, schmucklose Wände, nur ein Kreuz hinter dem Stuhl, auf dem Pater Kodom sitzt. „Meine Mission heißt Integration“, sagt er. „Da geht es zum Beispiel darum, dass die Kinder von Migranten, die hier geboren sind, hier bleiben können. Auch wenn die Eltern dieser Kinder, sagen wir, aus Afrika stammen: Die Kinder verstehen nichts von Afrika, und wenn sie hier kein Zuhause finden, werden sie nie ein Zuhause finden.“

Pater Kodom stammt aus Ghana, im Westen Afrikas gelegen, dreimal so viele Einwohner wie Österreich bei dreimal so großer Fläche, unabhängig seit 1957, seit 1993 mit einer stabilen Vierten Republik gesegnet, multiethnisch, will sagen: mit mehr als 100 verschiedenen Ethnien, islamisch geprägt im ärmeren Norden, christlich im reicheren Süden, aber was heißt schon Reich und Arm in einem Land, das auch unter den Ärmeren noch zu den Ärmsten zählt. Zumindest am Bruttoinlandsprodukt gemessen.

Ziemlich genau in der Mitte von Ghana, in Kranka, Bezirk Nkoranza, wird 1969 Kofi Patrick Kodom geboren. An einem Freitag, das verrät der Vorname Kofi, den alle an einem Freitag Geborenen in dieser Region tragen (so auch der vormalige UN-Generalsekretär Kofi Annan). Patrick wiederum ist Pater Kodoms Taufname. Dass er katholisch getauft wird, ist Zufall: Sein Vater, eigentlich Anglikaner, trifft sich – mangels anglikanischer Gemeinde im Ort – regelmäßig am Sonntag mit zwei katholischen Lehrern, um eine Art privaten Gottesdienst zu feiern. Pater Kodom: „Aus diesen drei Menschen ist dann im Ort die katholische Gemeinde gewachsen.“ Wobei das Verhältnis zu den Religionen grundsätzlich von großer Pragmatik geprägt ist: „Die sind in dieser Region bunt gemischt. Der Bruder meines Vaters ist Moslem, mein Großvater mütterlicherseits wiederum war Priester einer Naturreligion. Fast in jeder Familie gibt es nebeneinander Christen, Anhänger einer Naturreligion und Moslems.“ Für das Zusammenleben sei das kein Problem, im Gegenteil: „In unserer Gegend hat es meines Wissens nie irgendwelche religiös motivierten Auseinandersetzungen gegeben.“ Und überhaupt sei die Frage des Bekenntnisses in den Familien kein Thema: „Da ist der Familienverband selbst viel wichtiger als das, woran man glaubt.“

Familie Kodom bringt sich als Selbstversorger über die Runden: „Dass jedes von uns sechs Kindern in die Schule gehen konnte, das allein ist schon Beweis, dass wir nicht so arm waren.“ Mittelstand eben. Der Vater: ein einfacher Bauer. Weder er noch die Mutter haben je eine Schule besucht. Einmal im Monat kommt ein Priester, um im Ort den Gottesdienst zu feiern – und immer steigt er im Hause Kodom ab, um zu übernachten. „Es war mir also von Kindheit an klar, was es heißt, Priester zu sein. Als ich dann im Gymnasium war, lernte ich Missionare kennen. Und weil ich großes Interesse hatte, auch anderen Kulturen und Menschen zu begegnen, bin ich schließlich bei den Steyler Missionaren eingetreten.“

Die haben sich, 1875 im niederländischen Steyl von einem deutschen Priester, Arnold Janssen, gegründet, einem Missionsgedanken verschrieben, der von Anfang an das Heil nicht allein im Verweis auf jenseitige Glückseligkeit sucht, sondern auch in einer kraftvollen Bewältigung des Diesseits: „Aufgeschlossen und voll Hochachtung für die religiösen Überlieferungen der Völker“, ist es dem Orden nicht zuletzt um die Verbesserung der Lebensbedingungen jener getan, „die arm, an den Rand gedrängt und unterdrückt sind“. Mit Arnold Janssen gesprochen: „Zunächst heilen, dann belehren und dann erst taufen.“

Mittlerweile gibt es nicht nur in irgendwelchen fernen „Armenhäusern“ dieser Welt einiges zu heilen, sondern auch dort, von wo die Mission einst ausging: in Europa. Und die „Zivilisation“, in die das Abendland früher vermeintlich Unzivilisierte einführte, hat es heute offenbar selber nötig. In den 1990ern jedenfalls erklärt die Steyler Ordensgemeinschaft offiziell auch Europa zum Zielgebiet ihrer Missionsarbeit. Pater Kodom: „Gegen Ende meines Theologiestudiums, 1999, wurde ich gefragt, ob ich Interesse hätte, in Europa zu arbeiten. Man hat mir eine alphabetische Länderliste vorgelegt, aus der ich drei Länder auswählen konnte, ich habe einfach die drei vordersten im Alphabet ausgesucht und bin letztlich für Österreich bestimmt worden – mit einem ganz konkreten Ziel: der Arbeit mit Migranten, vor allem solchen aus Afrika.“

Zu diesem Zeitpunkt weiß Pater Kodom so gut wie nichts davon, wie viel Herz ihn im „Herzen Europas“ erwartet. Erste Eindrücke gewinnt er, als er, zum Priester geweiht, ein Visum beantragt – und nach mehreren Monaten Wartezeit abgelehnt wird. Erst Interventionen der österreichischen Ordensführung und des Wiener Erzbischofs samt weiteren Monaten Geduld machen den Weg zur Einreise frei.

Am 1. März 2001 betritt Pater Kodom erstmals österreichischen Boden. Quartier findet er in der hiesigen Zentrale der Steyler Missionare, dem Missionshaus St. Gabriel bei Mödling: zunächst einmal mit dem Auftrag, gründlich Deutsch zu lernen, was ihm nebstbei eine Grundschulung im ortsüblichen Umgang mit Menschen schwarzer Hautfarbe beschert: „Meinen Sprachkurs hatte ich am Wiener Schwarzenbergplatz, und auf dem Weg dorthin ist es regelmäßig passiert, dass ich von der Polizei kontrolliert wurde. Am Anfang habe ich mir nichts dabei gedacht, aber wenn man immer wieder sieht, dass man als Einziger aus einer Gruppe herausgeholt wird . . . Und das ist bis heute so.“

Nächste Station auf Pater Kodoms Reise ins angewandte Österreichertum: sechs Wochen Praktikum in der Linzer Voestalpine. „Mir war klar: Wenn ich Migranten betreuen soll, dann muss ich wissen, wie es ihnen auf dem Arbeitsplatz geht.“ Das erfährt er schnell: Schon nach drei Tagen wird er an die Luft gesetzt. Der vorgeschobene Grund: mangelnde Deutschkenntnisse. Auf Nachfrage der Personalabteilung stellt sich freilich heraus, dass seine Schichtgruppe „einfach nicht mit einem Afrikaner arbeiten wollte“. Pater Kodom wird einer anderen Abteilung zugewiesen, direkt am Hochofen – wo man ihn dann des Öfteren buchstäblich ins Feuer schickt, Motto: „Du Neger, geh dorthin, das bist du ja gewöhnt, in Afrika ist es ja auch heiß.“ Oder man erklärt ihm herzhaft unverblümt: „An diesem Tisch hast du keinen Platz.“

Es folgen: zwei Jahre als Kaplan in Innsbruck. Dort hat er sich, sagt er, „sehr wohl gefühlt“: „Die Leute konnten nur lange Zeit nicht glauben, dass da tatsächlich ein Missionar aus Afrika ins heilige Land Tirol gekommen ist – und vor allem konnten sie nicht verstehen, warum.“ Eine Frage, die sich leicht klären lässt mit einem Blick auf hiesige Pfarramtsbesetzungen: Ohne geistliche Gastarbeiter aus näheren und ferneren Ausländern – von Brasilien über Indien bis zu den Philippinen – ließe sich die katholische Grundversorgung in Österreich längst nicht mehr auch nur halbwegs sicherstellen.

2005 kehrt Pater Kodom in den Osten Österreichs zurück, erst ins Missionshaus St. Gabriel, von wo er wenig später in die Favoritner Dreifaltigkeitspfarre wechselt: „Da bin ich dann konkret in die Migrantenpastoral eingestiegen.“ Zuerst bewirbt er sich im Flüchtlingslager Traiskirchen – und wird prompt mit der Aufgabe betraut, die Neuankömmlinge bei der ersten Orientierung zu unterstützen, ihnen „zu zeigen, was zu tun ist, wenn sie einen Arzt brauchen, oder wohin sie essen gehen können“: „Die Leute waren oft ungeheuer verzweifelt, wussten nicht, was sie erwartet. Viele Flüchtlinge kommen ja mit einer sehr großen Hoffnung, und auf einmal sitzen sie da und sehen, dass diese Hoffnung sich nicht verwirklichen lässt. Mein großes Problem damals und heute immer noch ist diese Ohnmacht, dass man vor einer schwierigen Situation steht und weiß: Ich kann nichts tun.“

Immer wieder geschieht es, dass Asylwerber, die er aus Traiskirchen kennt, ihn plötzlich aus der Schubhaft kontaktieren: „Ich wollte diese Menschen in der Schubhaft besuchen, aber das war nicht so einfach. So habe ich mich erkundigt, ob es in der Schubhaft einen Seelsorger gibt, und festgestellt: So etwas gibt es nicht.“ Irritierend genug, wo doch andererseits die Gefängnisseelsorge längst wohl institutionalisiert ist. Der Grund für diese Lücke? Den weiß niemand recht zu sagen. Immerhin haben katholische und evangelische Kirche jüngst das Thema für sich entdeckt und für Anfang April eine gemeinsame Enquete in Sachen Schubhaftseelsorge einberufen.

Pater Kodom jedenfalls setzt durch, was eigentlich nicht vorgesehen ist: Die Erzdiözese Wien und den Verein „Fair & Sensibel“ im Rücken, der sich der Entspannung im Verhältnis zwischen Polizei und Afrikanern verschrieben hat, gelingt es ihm, regelmäßig zweimal die Woche Zutritt zu den beiden Wiener Schubhaftzentren zu erhalten, Dienstag am Hernalser Gürtel, Mittwoch an der Rossauer Lände.

Er spricht Mut zu, stellt Kontakte mit der Außenwelt her, kümmert sich um weit mehr als das Seelenheil allein. Er sieht Verzweiflung, hört von endlosen Asylverfahren, von Hungerstreiks und von Selbstmordversuchen. „Eine Frau aus Kenia hat heute angerufen“, erzählt er, „die wurde aus der Schubhaft entlassen, ist verheiratet, hat einen Sohn, ist aber immer noch illegal, ihr Mann stammt aus Nigeria, der ist anerkannter Flüchtling. Und beide fragen mich immer wieder, gibt es eine Chance, irgendwo. Und ich kann es ihnen nicht sagen. Zu Hause, in Ghana, erzähle ich oft von diesen Problemen, von den Migranten, die in Schubhaft sitzen, und ich merke, dass mir die Leute nicht glauben. Sie sagen höchstens: Die, denen so etwas passiert ist, die haben halt kein Glück gehabt, bei mir ist das ganz anders. “

4000, 5000 Euro koste es, von Afrika auf irgendwelchen Schleichwegen nach Österreich zu kommen: „Mit dieser Summe kann man in Ghana ziemlich viel anfangen. Aber der Gedanke ist: Wenn ich mit diesen 5000 Euro nach Europa gehe, dann habe ich in zwei Jahren dreimal so viel. Es klingt so einfach, dass es in Europa leichter ist. Man denkt nicht an Dinge wie Arbeitserlaubnis, Aufenthaltsgenehmigung, man denkt nur: Es ist besser. Und diese Einstellung zu ändern, das ist schwierig.“

Sein Österreich-Resümee nach neun Jahren? „Hier wird viel geredet, aber wenig getan. Nicht zuletzt im Bereich Integration.“ Ja, „die Menschen, die hier leben, müssen ungeheuer viel leisten. Und sie tun das auch. Sie gehen ganz in ihrer Arbeit auf. Aber was passiert mit den Beziehungen zwischen den Menschen?“ Sein nächster Missionsort: irgendwo, nur bitte nicht in Europa. Seine Hoffnung: dass er als Schubhaftseelsorger einen Nachfolger findet. Erfüllung: ungewiss.


Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 6. März 2010

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