Lustig ist das Polizistenleben

„Radlweg foan!“ oder: Wozu StVO, wenn nicht einmal die Polizei sie kennt?

Die Polgarstraße ist kein heißes Pflaster. Stadtauswärts endet sie als Sackgasse im Donaustädter Ungefähren, stadteinwärts als Einbahn zwischen Langer Allee und Erzherzog-Karl-Straße, und nichts, was auf ihren eineinhalb Kilometern darauf hindeutete, sie könnte je Schauplatz eines notierenswerten Ereignisses sein. Und dann dieser Freitag vor einer Woche . . .

Vorausgeschickt sei: Ich bin ein braver Bürger. So weit ich es kenne, versuche ich mich an das Regelwerk der Gesetze zu halten, staatlichen Ordnungsorganen begegne ich mit Respekt, ich zahle die Sonntagszeitung, ich halte bei roten Ampeln, geschummelt wird nicht einmal beim „Mensch ärgere Dich nicht“. Und meinen Alltagsthrill meine ich mir anderweitig eleganter holen zu können als auf der Flucht vor dem Kontrolleur in der Straßenbahn.

Wer glaubt, das sei langweilig, der war noch nie in der Polgarstraße, jedenfalls nicht am jüngstvergangenen 1. August so gegen 17.30 Uhr. Ich fuhr mit meinem Fahrrad StVO-gemäß – wie sonst? – am rechten Polgarstraßen-Fahrbahnrand von der Langen Allee stadtauswärts, also in Richtung der Polgarstraßen-Einbahn, mein Fahrrad war ordnungsgemäß – was sonst? – mit den erforderlichen Sicherheitseinrichtungen ausgestattet und meine Radfahrer-Aufmerksamkeit ordnungsgemäß – wohin sonst? – auf das Verkehrsgeschehen rund um mich fokussiert, als ich links hinter mir ein sich näherndes Fahrzeug hörte. Die wenig später links neben mir sichtbar werdende Motorhaube war die eines Funkstreifenwagens, die Person, die sich kurz danach aus dem Beifahrerfenster vernehmen ließ, uniformiert: „Radlweg foan!“, hörte ich eine schwere Stimme bellen, da war das Fahrzeug auch schon an mir vorbei.

Nun bin ich – siehe oben – in Sachen Widerstand gegen die Staatsgewalt nicht eben versiert, und im Übrigen hätte ich einen Radweg von ganz alleine und ohne jede polizeiliche Aufforderung benützt, nur: In und an der Polgarstraße gibt es keinen Radweg. Worüber die Polgarstraße freilich verfügt, ist einer jener durch eine Leitlinie abgegrenzten Bereiche am linken Fahrbahnrand, der es Radfahrern erleichtert, sich gegen die Einbahn zu bewegen. In Richtung der Einbahn dagegen gilt für Radfahrer genau das, was in Österreich auch sonst für Fahrzeuge grundsätzlich gilt: das Rechtsfahrgebot.

Zugegeben: Dass man sich im Namensdickicht zwischen Radwegen, Radfahrstreifen, Mehrzweckstreifen samt allen dazugehörigen Regeln verirren kann, weiß jeder, der sich durch Wien bewegt. Aber wenn nicht einmal die Polizei . . .

Als braver Bürger, wie gesagt, bin ich stets um Aufklärung bemüht. So auch in diesem Fall. Ich also dem Funkstreifenwagen hinterher, der an der nahen Kreuzung auf das Grün der Ampel warten musste. Kaum wurde das Amtsantlitz meiner ansichtig, schallte mir abermals das schon bekannte schwere „Radlweg foan!“ aus dem Beifahrerfenster entgegen, und als ich vorsichtig den sachdienlich gemeinten Einwand wagte, hier könne von Radweg keine Rede sein, der Streifen vis-à-vis sei einzig den gegen die Einbahn fahrenden Radlern vorbehalten, brach sich der Humorist im Uniformkleid Bahn: „Na, fiachtn S‘ Ihna vua an Frontalzusammenstoß?“

Meine Replik, ich versuchte nur, mich an die Straßenverkehrsordnung zu halten, ging schon halb im Anlaufen der Automotoren unter: Das Grün der Ampel unterband jede weitere Konversation. Weshalb ich darauf hoffen muss, dass man den fröhlichen Beamten amtlicherseits entsprechend instruiert. Der mutmaßliche Funkstreifenwagen gehörte mutmaßlich zur mutmaßlichen Polizeiinspektion Lange Allee. Und im Übrigen gilt für alle genannten Personen die Unschuldsvermutung. Für mich selbstredend sowieso.

 

Wolfgang Freitag, „Die Presse“, „Spectrum“, 9. August 2014

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